Lebenskünstler Bäume

Fotografiert von Christine Bauer

„Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt“

Khalil Gibran

„Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen.  Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen.  Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben, sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen.  Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum.“ [1] Diese Worte Hermann Hesses drücken die tiefe Ehrfurcht aus, die wir empfinden können, wenn wir uns in Gegenwart eines Baumes befinden. Wer vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, hat sprichwörtlich den Überblick verloren. Doch wer den einzelnen Baum im Wald oder Park genauer betrachtet, stößt auf Organismen mit einer faszinierenden Vielfalt von Eigenarten. Sie sind unglaubliche Lebenskünstler, schaffen es, sich den schwierigsten Situationen anzupassen und besitzen eine großartige Resilienzfähigkeit.


Ich lebe mein Leben in
wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;

und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

                   Rainer Maria Rilke [2]

Kurze Anmerkungen zu Bäumen in der Kulturgeschichte

Bäume gelten an zahlreichen Orten der Welt noch immer als der Sitz der Götter und Geister. Manchem großen, alten Baum wird von Menschen eine Seele zugeschrieben. Deswegen begleiten religiöse oder magische Zeremonien das Pflanzen eines Baumes in einigen Kulturen. Auch die alten Germanen verehrten die Bäume. Der Liebesgöttin Freya wurde die Linde geweiht und die Eiche dem Donnergott Thor. In heiligen Hainen oder kleinen Wäldern brachten sie den Göttern Opfergaben. Im nordgermanischen Raum herrschte der Glaube, dass die Esche Yggdrasil ein Weltenbaum sei, der als Weltachse Himmel, Erde und Unterwelt verband. Das Pendant zu Yggdrasil war im westgermanischen sächsischen Raum der heilige Baumstamm Irminsul. Dem frühen Christentum war dieser Baumkult ein Dorn im Auge und nicht vereinbar mit dem Alten Testament. Sie wurden als Götzenbilder betrachtet. Von der Spätantike bis zum Mittelalter setzten die christlichen Missionare alles daran, diesen Kult zu beenden. Das führte sogar so weit, dass Papst Gregor II. befahl, die Baumheiligtümer zu zerstören. Es heißt auch, dass Karl der Große als überzeugter Christ im Jahr 772 bei seinem Feldzug gegen die Sachsen den heiligen Irminsul fällen ließ. „Während der Christianisierung widmeten die Missionare teilweise auch heidnische Heiligtümer in christliche um. Die Freya-Linden etwa waren fortan Marien-Linden – zu Ehren von Maria, der Mutter von Jesus Christus. Doch das änderte nichts daran, dass der Wald fortan mit Bösem in Verbindung gebracht wurde: dunkel, sündhaft, heidnisch.“ [3] Wälder und Bäume wurden dann in der Zeit der Romantik aufgewertet und es entstand das Bild des Waldes als eines sehnsuchtsvollen Ortes, in dem der Mensch die Einheit mit der Natur finden kann.

Die Resilienzfähigkeit der Bäume

Was macht eigentlich einen Baum aus? Bäume sind außergewöhnliche Pflanzen, ohne die wir Menschen auf dieser Erden nicht existieren können. Sie sind die Lunge der Erde. Aus der Sicht der Botanik gesehen ist ein Baum eine langlebige Pflanze mit ausgeprägt verholztem Stamm. Er muss mindestens eine Höhe von sieben Meter erreichen, um als Baum zu gelten. Ab einer bestimmten Höhe verzweigt er sich und bildet eine sogenannte Krone aus belaubten Zweigen. „Es gibt Bäume, deren Blätter zu langen spitzen Nadeln geformt sind. Andere tragen Blätter, die ganz unterschiedliche Formen haben. Zudem wird zwischen immergrünen und sommergrünen (Laub abwerfenden) Bäumen unterschieden. Wie andere Pflanzen blühen Bäume, um sich zu vermehren. Sie können Höhen von mehr als 100 Metern erreichen und mehrere tausend Jahre alt werden. Ihr Alter lässt sich an der Anzahl der Jahresringe ablesen, die sie in ihrem Holz bilden: Jedes Jahr entwickelt sich beim wachsenden Baum im Innern des Stammes eine neue Schicht.“ [4] Oberirdisch betrachtet ist der älteste Baum, der auf unserer Erde existiert, eine Grannenkiefer. Sie ist 5000 Jahre alt und befindet sich in den kalifornischen White Mountains [5]. Es gibt jedoch Wurzelstöcke, die weitaus älter sind und es sogar auf 70 000 Jahre bringen können. Aus ihnen können potenziell wieder neue Bäume wachsen.

Bäume bilden außerdem einen wichtigen Lebensraum für Tiere und andere Pflanzen. Diese wachsen in ihrem Schatten, ranken sich wie Lianen an ihren Stämmen hinauf oder siedeln sich in den Baumkronen an. Entsprechend vielfältig können auch die Tierarten sein, die in den Wäldern leben. Aktuell sind knapp 30 Prozent der Landmasse der Erde noch bewaldet. Außerdem sind sie tapfere Sauerstoffliferanten der Städte. Ein Stadtbaum allein produziert bis zu 1200 Liter Sauerstoff pro Stunde, was umgerechnet die Atemluft von zehn Menschen bedeutet. Das ist aber noch nicht alles. Ein einzelner Baum kann in einer Stunde 2,4 Kilogramm Kohlendioxid verarbeiten und bindet mehr als 100 Gramm Staub im Jahr. Bis zu 400 Liter Wasser verdunstet er an einem sonnigen Tag. Das erhöht die Luftfeuchtigkeit und kühlt seine Umgebung im Sommer um einige Grad ab. Diese Leistungen vollzieht er unter schwierigsten Bedingungen. Sein Wurzelwerk muss sich einen Weg durch Beton, Rohre und Leitungen suchen, um Nährstoffe aus dem Boden zu bekommen. Und oft ist sein näheres Umfeld einbetoniert, was die Wasserzufuhr bis zu seinen Wurzeln erschwert. Und trotzdem stehen sie da und trotzen den Schwierigkeiten, die wir Menschen ihnen immer wieder zum Wachsen und Gedeihen in den Weg legen. Die unglaubliche Resilienzfähigkeit der Bäume hat die französische Biologin Catherine Lenne in ihrem Buch „Vous avez dit biz’arbres“ [6] auf humorvolle Art und Weise beschrieben und illustriert. Jeder Spaziergang entlang von Alleen, Plätzen oder im Wald sind eine Gelegenheit, die Akrobatik der Natur und vor allem die der Bäume zu betrachten. Sie sind regelrechte Meister darin. Davon zeugen ihre Narben, Mutationen oder spektakulären Verformungen. Oft überraschen sie mit ihren bizarren Formen und ihrer Neigung zum Ungewöhnlichen. Diskret halten sie Händchen mit ihrem Nachbarn, verschlucken Schilder oder leisten bühnenreife Verrenkungsübungen. Diesen Riesen, die in einem Kuriositätenkabinett auftreten könnten ist eines gemeinsam: Die Ursachen dieser Eigenarten zeugen von ihrer unglaublichen Widerstands- und Anpassungsfähigkeit. Ist es nicht letztendlich auch das, warum wir so eine starke Faszination und Bewunderung für sie hegen?

Das Symbol des Lebensbaumes

wichtigen Platz eingenommen. Noch heute ist er als ein Symbol des Lebens in den heiligen Schriften der größten Weltreligionen enthalten. Aus diesem Grund gibt es unzählige Arten von Lebensbäumen. Jede Zivilisation hat als Referenz den Baum gewählt, den sie für den wichtigsten hält, den emblematischsten Baum ihres Lebensraums. Darunter befinden sich unter anderem folgende Arten von Lebensbäumen gemäß ihren religiösen Traditionen:

  • Sycomore und Akazien im alten Ägypten
  • Eiche, Birke und Pappel für die alten Kelten
  • Esche oder Eibe für Wikinger
  • Kiefer, Pfirsich und Pflaume für die Chinesen
  • Der Olivenbaum, die Palme, die Rebe und die Tanne für die Christen
  • Mandelbaum, Kermeseiche und Olivenbaum für Juden
  • Dattelpalme und Bananenbaum für Muslime
  • Sal und Feigenbaum der Pagoden für Buddhisten
  • Ashoka und Banyan für Hindus [7]

So verschieden diese Bäume auch sind, drei Merkmale sind ihnen allen gemeinsam: Sie haben lange und starke Wurzeln, einen starken Stamm und Zweige und Äste, die zum Himmel hochragen. Der Baum ist vor allem ein Symbol des Lebens. Er kann das Wesen unserer eigenen Existenz darstellen und uns auf den ewigen Kreislauf des Lebens verweisen. Die drei Teile des Baumes haben sehr genaue Bedeutungen in den verschiedenen Traditionen. Die Wurzeln symbolisieren die Vergangenheit, unsere Erfahrung. Sie sind die Verbindung mit der Mutter Erde, unseren Vorfahren und der Geisterwelt. Stamm und Rinde repräsentieren die Gegenwart, unsere Stärken und Schwächen, unseren Lebensweg. Die Zweige symbolisieren die Zukunft, unsere Ziele, aber auch die Suche nach Spiritualität, die Verbindung mit dem Göttlichen und dem ewigen Leben. Der Lebensbaum hat außerdem noch viele andere symbolische Bedeutungen:

  • Er erinnert uns außerdem daran, dass wir tief mit der Welt um uns herum verbunden sind, und dass wir sie brauchen, um uns zu ernähren und zu gedeihen. Er wird auch als eine Quelle innerer Weisheit betrachtet. Das ist auf seine Langlebigkeit zurückzuführen, die es ihm erlaubt, viele Zeitepochen zu durchlaufen und sich ein Wissen anzueignen, das dem der Menschen weit überlegen ist.
  • Bäume können den heftigsten Stürmen standhalten und sind daher ein wichtiges Symbol für Stabilität. Die Bäume bleiben dank ihrer starken Wurzeln bei jedem Wetter ruhig. Wenn Äste abbrechen, kann sich der Baum regenerieren und einen neuen Zweig wachsen lassen, der noch robuster ist als der vorherige. So ist es auch mit den Lebenserfahrungen, die jeder Mensch durchläuft, und die ihn mit der Zeit stärker und standhafter machen.
  • Ein junger Baum beginnt mit flachen Wurzeln, die mit der Zeit stärker und tiefer werden. Der Baumstamm, der das Wachstum darstellt, neigt zur Sonne und zum Himmel. Mit der Zeit wird er immer fester. Um vom Samen zum Reifen zu gelangen, braucht der Baum, wie der Mensch, viel Zeit, Interaktion und lebenswichtige Erfahrungen. Aus diesem Grund wird er direkt mit der persönlichen Entwicklung verbunden.
  • Des Weiteren wird die Metapher des Baumes verwendet um Familiengeschichten darzustellen. Wie der Baum und die Generationen von Bäumen davor, sind wir alle genetisch verbunden, durch unsere Eltern, unsere Großeltern, aber auch durch viele Generationen vor uns.
  • Und schließlich symbolisiert der Baum des Lebens die Individualität jedes Einzelnen. Alle Bäume sind einzigartig und ihre Zweige wachsen an verschiedenen Orten und in verschiedene Richtungen. Es stellt das persönliche Wachstum eines Individuums dar. Wir werden zu einem einzigartigen Menschen, weil verschiedene Erfahrungen uns zu dem machen, was wir sind.

Da wir uns ihnen so hingezogen fühlen und uns in wichtigen Lebensfragen mit ihnen identifizieren, werden in den folgenden kreativen Aktivitäten Bäume als zentrales Element verwendet werden.


[1] Quelle : Quelle : Hier (abgerufen am 15.5.2024)
[2] Quelle : Hier  (abgerufen am 20.2.2024)
[3] Quelle : Hier (abgerufen am 15.5.2024)
[4] Quelle : Hier  (abgerufen am 15.5.2024)
[5] May Claudia, Wilke Felicitas, Weizenbürger Gudrun, Haas, Tanja, Mythos Wald, Deutsch Perfekt Nr. 9, 2016, Seite 24
[6] Lenne CatherineVous avez dit biz’arbres, Belin, Paris, 2024|
[7] Liste frei übersetzt nach : Les Véritables Significations du Symbole de l’Arbre de vie, unter : Hier  (abgerufen am 7.6.2024)

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