Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels.

Jenny Joseph [1] 

Blau bewegt sich im abgelegenen Schattenraum. Man verbindet es mit Stabilität, Frieden und Ruhe. Es gibt eine grenzenlose Weite im Blau, die man in der Weite des Himmels und des Meeres wiederfindet. Das Blau stellt auch die Unendlichkeit einer ätherischen Welt dar: einen gedämpften emotionalen und nur schwer fassbar schwindenden Raum.
Die Farbe Blau ist die beliebteste Farbe in den europäischen Gesellschaften. Es gibt nur wenige Menschen, die Blau nicht mögen. Lange Zeit ignoriert und sogar in der Antike gehasst, hat es sich mit der Zeit behauptet und kann heute gar nicht mehr aus dem Farbkanon weggedacht werden. In den westlichen Ländern ist es zum Garanten des Konformismus geworden, beherrscht Jeans und Hemden sowie Anzüge und Röcke bei Geschäftsbesprechungen. Ihm wurden sogar Europa und internationale Organisationen wie die UNO anvertraut. Das heißt, wir mögen es. Das war jedoch nicht immer der Fall.


Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln 
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh, 
hinter den Blütendolden, die ein Blau 
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln. 
Sie spiegeln es verweint und ungenau, 
als wollten sie es wiederum verlieren, 
und wie in alten blauen Briefpapieren 
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau; 
Verwaschenes wie an einer Kinderschürze, 
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht: 
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze. 
Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen 
in einer von den Dolden, und man sieht 
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

                     Rainer Maria Rilke [2]

Lange Zeit war das Blau eine wenig beliebte Farbe. Bis zum Mittelalter gab es noch nicht einmal ein Wort um diese Farbe zu benennen. Lediglich die Farben rot, weiβ, grün und schwarz waren bekannt.

Eine groβe Ausnahme war das alte pharaonische Ägypten. Die Ägypter stellten Blau aus dem Edelstein Lapislazuli her. Er galt als heiliger Stein, denn Blau war die Farbe der Götter. Dieses Farbpigment herzustellen war ein sehr aufwendiger Prozess und dementsprechend kostbar und teuer. Der Lapislazuli war so teuer wie Gold. Und wenn er zu Ultramarin verarbeitet wurde, sogar noch teurer.
Im antiken Rom wurde Blau als die Farbe der Barbaren betrachtet, der Fremden (die Völker des Nordens, wie die Germanen, schätzten das Blau). Frauen mit blauen Augen waren Zeichen für ein verruchtes Leben und über Männer mit blauen Augen wurde gespottet.
Im 12. Jahrhundert änderte sich auf einmal alles. Der Gott der Christen wurde ein Gott des Lichts. Und das Licht war Blau. Zum ersten Mal wurden die Himmel der Gemälde in Blau gemalt-vorher waren sie schwarz, rot, weiβ und golden. Auβerdem breitete sich der Marienkult aus. Und da Maria im Himmel lebte, malte man sie in Blau. Die Jungfrau Maria wurde zur besten Werbeträgerin für das Blau.
Leuchtend blau waren seit dem 13. Jahrhundert die Krönungsmäntel der französischen Könige.

Die Gewinnung der Farbstoffe aus Färberpflanzen oder Insekten und anderen Kleintieren war mühsam und viele Farbstoffe mussten importiert werden. Das machte die Färberei sehr arbeitsintensiv und teuer. Blau war jedoch einfach herzustellen, da es aus vielen verschiedenen Pflanzen gewonnen werden konnte. In Mitteleuropa stellte man das Indigoblau aus dem Waid her. Sein botanischer Name lautet Isatis tinctoria – tinctoria bedeutet Färberpflanze. Den Färberwaid nannte man auch Pastel oder Deutschen Indigo. Waid ist eine Staudenpflanze, die einen gerade nach oben gerichteten und mit Blättern bewachsenen Stengel hat. Er endet oben in einem mit vielen kleinen Blüten besetzten Blütenstand. Waid wuchs damals überall in Europa. Ganze Regionen hatten sich auf den Waidanbau spezialisiert. Berühmte Waidstädte in Deutschland waren Erfurt, Gotha, Arnstadt, Langensalza und Tennstedt. Als der aus Indien importierte Indigofarbstoff im Frankreich Ludwigs des XIV  legalisiert worden war, weil er billiger zu erwerben und kraftvoller in der Farbe war als das aus Waid gewonnene blaue Farbpigment, wurde Blau die Farbe Nummer eins der Stoffe und Gewänder des französischen Adels. Und Indigo der größte Konkurrent zum Waid.  
Indigo selbst war farblos, die blaue Farbe entstand erst nach der Färbung im Kontakt mit Licht. « Abgesehen vom Gestank war Blaufärben eine angenehme Tätigkeit. Die Färber arbeiteten im Freien, bei schönem Wetter und es gab reichlich zu trinken. Wenn Färber am helllichten Tag betrunken in der Sonne lagen, dann wusste jeder : Die machen Blau. Und wer Blau gemacht hatte, der war blau! »[3]
Im 18. Jahrhundert wurde es zur Modefarbe der Europäer. Die Technik fügte noch eine Schicht hinzu. Preußischblau, auch bekannt als Berliner Blau, wurde zufällig von dem deutschen Färber Johann Jacob Diesbach entdeckt, der eigentlich an der Kreation einer neuen Art von Rot arbeitete. Leider oder glücklicherweise kam eines seiner Materialien, nämlich Pottasche, mit Tierblut in Kontakt, was eine erstaunliche chemische Reaktion auslöste, aus der ein beispielloses und leuchtendes Blau entstand.
Die Romantik hat den Beliebtheitsgrad des Blau außerdem noch verstärkt. Wie der von Goethe erschaffene Romanheld « Werther » trugen die jungen Europäer blaue Kleidung, Blau wurde der Inbegriff der Melancholie und Liebe. Die blaue Blume war ein zentrales Symbol in der romantischen Literatur. Vor allem der Dichter Novalis verhalf durch sein Werk „Heinrich von Ofterdingen“ der „Blauen Blume“ zur Berühmtheit. Sie versinnbildlichte das metaphysische Streben nach dem Unendlichen, sowie die Sehnsucht nach Ferne und Wanderschaft.
1850 gab ein Kleidungsstück ihm noch mehr Fahrtwind: die Jeans. Sie wurde von dem jüdischen Schneider Levi Strauss erfunden: die ideale in Indigoblau gefärbte Arbeitshose. Auf der ganzen Welt wurde die Arbeitskleidung mit Indigo gefärbt. „Blaumann“, „Blauer Zwirn“, „Blauer Anton“, so nannte man diese Bekleidung in handwerklichen Berufszweigen. Die Jeans wurde in Amerika jedoch erst in den Dreißiger Jahren als Freizeithose angeboten und brachte damit ihren Einmarsch in die Welt der Jugend.
1897 hatten die Techniker und Chemiker der Bayer Farbwerke es zum ersten Mal geschafft einen synthetischen Farbstoff herzustellen, der erschwinglich war. Nationen der ganzen Welt waren zu dieser Zeit auf der Suche nach diesem chemischen Farbstoff gewesen. Mit dem Erfolg der BASF Werke brach ein Handelskrieg mit Großhändlern des natürlichen indischen Indigofarbstoff aus, der 15 Jahre lang andauerte und mit der Niederlage des letzteren endete. Indigo war somit eines der wichtigsten Erzeugnisse der chemischen Industrie geworden.
Der große Ruhm dieses Pigments wurde noch verstärkt durch die Tatsache, dass es zur Lieblingsfarbe großer Meister wie Pablo Picasso und Katsuhiko Hokusai wurde. Tatsächlich verwendete ersterer es während seiner blauen Periode, während letzterer sein berühmtestes Werk „Die große Welle vor Kanagawa “ schuf. Auch Van Gogh malte mit Preußischblau seine berühmten Nachthimmel und die deutschen Expressionisten verewigten das Blau im Namen ihrer von Franz Marc und Wassily Kandinsky gegründeten Malervereinigung « Blauer Reiter ». Der Name bezog sich auf das sogenannte « blaue Land », eine oberbayrische Region um Murnau, deren sich zu den Alpen hin erstreckende Landschaft für den Betrachter eine deutliche Blautönung aufweist. Blautöne bewirken in der Malerei, dass räumliche Darstellungen an Weite gewinnen, sie haben eine beruhigende Wirkung auf den Betrachter und wirken eher kühl.

Blau ist heute eine konsensuale Farbe. Das gilt sowohl für Privatpersonen als auch internationale Organisationen: die UNO, UNESCO, der Europarat, die Europäische Union… alle haben ein blaues Emblem gewählt. Diese Farbe fällt nicht auf, sie schockiert nicht und sie findet Gehör und Glauben bei jedermann. Gemäß den Worten des französischen Historikers Michel Pastoureau  „ befinden wir uns wieder in einer Situation, die der Antike ähnelt: Durch die Allgegenwart und den Konsens ist Blau wieder eine dezente Farbe, die vernünftigste von allen geworden.“ [4]
Bei Nahrungsmitteln sind wir jedoch weniger offen, was das Blau betrifft. Würde man beispielsweise einen blau gefärbten Reis oder ein blaugefärbtes Brot anbieten, dann würden sich die meisten Menschen wahrscheinlich angeekelt abwenden. Blau gefärbte Lebensmittel werden nur dann akzeptiert, wenn sie auch zum Geschmack passen. Man assoziiert Frische und Kühle mit dem Blau: ein blaues Hustenbonbon oder ein leuchtend blauer Cocktail findet Anklang bei Erwachsenen. Blaugefärbte Spaghetti nehmen einem eher den Appetit und die leiseste Spur von Blau oder Grau auf einem Nahrungsmittel lässt uns an Gift oder Schimmel denken.Blau symbolisiert die Verbindung zum Göttlichen. Sie ist die Farbe der Ewigkeit und der Wahrheit. „Noch im modernen Empfinden ist das reine Weiß zusammen mit dem göttlichen Blau die Farbkombination der hohen Werte.“ [5] Außerdem wird Blau häufig mit dem Himmel und dem Meer assoziiert und somit mit tiefgehenden Gefühlen und Idealen wie Freiheit, Vorstellungskraft, Sensibilität, Weisheit, Intuition, Treue, Loyalität und emotionale Stabilität.

Im indischen System der Chakras [6] nimmt das Blau die fünfte Stellung ein. Man nennt es auch das Hals-oder Kehlkopfchakra. Es symbolisiert die Kommunikationsfähigkeit eines Menschen und stellt das Tor zu einer höheren Bewusstseinsebene dar. Unter Kommunikation ist gemeint, sich sowohl nach auβen hin verständlich und präzise (oder « wahrhaft ») auszudrücken, als auch die Fähigkeit, innere Gefühle und Gedanken bewusst wahrnehmen zu können. Körperlich besteht eine Verbindung zur Schilddrüse, zum Rückenmark, zur oberen Lunge, zur Speiseröhre und zu den Bronchien.
Und hier noch einige kulturell gefärbte Redewendungen zum Blau:
„Ein Mensch der blauäugig durchs Leben geht“, hat nicht unbedingt blaue Augen, aber ein naiv-treuherziges Gemüt. Blaue Augen gelten in Europa als schönste Augenfarbe. Die Chinesen hingegen finden blaue Augen hässlich, denn dort werden sie als unnatürlich betrachtet. In Russland wird Grau als schönste Augenfarbe gerühmt. „Wenn ein Deutscher blau ist“, dann ist er betrunken- vielleicht so „blau wie eine Frostbeule“ oder „blau wie ein ganzes Veilchenbeet.“ International ist die Redensart vom „blauen Blut“ der Adligen. Den sonnengebräunten Bauern der damaligen Zeit erschienen die durch die weiße Haut durchscheinenden Adern der Aristokraten in bläulicher Farbe.

Der Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten [6] entwickelte während seiner Lehrtätigkeit von 1919 bis 1923 im Bauhaus Weimar die Grundlagen seiner Farbtheorie. Er interessierte sich vor allem für die Interaktion und der daraus resultierenden Kontraste der zwölf Farben, die er in einem Farbkreis angeordnet hatte. Seine Grundidee war, dass alle Farben aus nur drei Grundfarben gemischt werden können.
Die Farbe Blau zählt zu den kalten Farben und ist die Komplementärfarbe zu Orange. Kalte Farben haben eine beruhigende Wirkung während warme Farben eher dynamisierend sind. Komplementärfarben sind die Farben mit den größten Gegensätzen und sie liegen sich im Farbkreis gegenüber. Werden diese gemeinsam gewählt, wie z. B. Blau und Orange, dann verstärken sich diese beiden Farben in ihrer optischen Wirkung gegenseitig. Es entsteht der so genannte Komplementärkontrast.
Primärfarben sind Grundfarben, aus denen sich alle anderen Farben mischen lassen. Sekundärfarben entstehen durch eine Mischung zweier Farben. Blau ist mit Rot und Gelb eine der drei Grundfarben.


[1] Zitiert in : Romantische Landschaft , Wassily Kandinsky, unter : hier (abgerufen am 24.1.2024)
[2] Quelle : hier  (abgerufen am 19.2.2024)
[3] Heller, Eva, Wie Farben wirken, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 1999, Seite 32
[4] Pastoureau, Michel, Simonet, DominiqueLe Petit Livre des couleurs, Editions du Panama, Paris, 2005, Seite 26.
[5] Heller, Eva, Wie Farben wirken, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 1999, Seite 38
[6] Die Chakren-Lehre beschreibt ein allumfassendes Energie-System. Jedes einzelne Chakra gilt als Energiezentrum, das eine Verbindung zwischen Körper, Geist und Umwelt schafft – quasi ein Portal zwischen der inneren und äußeren Welt. Der Begriff « Chakra » stammt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt „Rad“. Es ist ein Modell der organisatorischen Struktur des Lebens und dieses Muster ist überall in der Natur zu finden.
[7] Farbkreis nach Itten
, unter : hier (abgerufen am 9.2.2024)

Retour en haut