Die Farbe Rot

„Wenn jemand « Rot » sagt, (als Bezeichnung einer Farbe) und wenn fünfzig Personen zuhören, darf man erwarten, dass fünfzig verschiedene Rot in ihrem Bewusstsein auftauchen. Man darf sicher sein, dass all diese Rot verschieden sind.“
Josef Albers [1]
Rot ist eine kraftvolle Farbe. Sie inkarniert die Hitze in seinem Fusionszustand. In ihrer reinsten Form assoziieren wir mit dem Rot Leidenschaft, Energie und die Lebenskraft schlechthin – wie das Blut, das durch unsere Adern flieβt. Sie wirkt wie Wärme, wenn wir ihr ganz nahe sind. Die Nähe ist das Greifbare, das Reale. Rot ist die Materie. Der Gegenspieler zu Rot ist das ferne Blau- vergeistigt, ernst und zurückhaltend.
Dame im Park
…so schritt ich den sonnenweißen Weg weiter-
ich, der ich rot war.
Ich habe die blaue Dame gesehen im Grünen-
im grünen Garten.
Sie blieb stille stehen-
sie schaute mit runden, dunklen Augen auf mich.
Sie war fast weiß im Gesicht.
Egon Schiele [2]
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Einige Anmerkungen zur Geschichte der Farbe Rot
„Wie wurden die Rosen rot? Es wird erzählt, dass Amor, der unter den Göttern tanzte, den Nektar verschüttete, der sich über die weiße Rose ausbreitete und sie für immer rosig rot werden lieβ.“
Robert Herrick [3]
Alles begann mit dem Rot. Es ist die Farbe schlechthin, die archetypische Farbe, die erste Farbe aller Farben, die von den Menschen mit einem Namen versehen wurde, die älteste Farbbezeichnung in den Sprachen der Welt. Es gibt Sprachen, in denen das Wort für „farbig“ identisch mit dem Wort „rot“ ist, wie das beim spanischen „colorado“ der Fall ist. In Russisch bedeutet „krasnoï“ sowohl „rot“ als auch „schön“ (etymologisch gesehen nimmt das Rot also den „schönen Platz“ ein). Im chromatischen Farbsystem der Antike, das sich um nur drei Farben drehte, war weiβ die Farblose, Schwarz das Schmutzige und Rot die einzige Farbe, die es würdig war, als solche benannt zu werden. Die Vorherrschaft des Rots hat sich in der westlichen Welt durchgesetzt. Warum?
Zum einen haben die Menschen es sehr früh geschafft (seit 35000 Jahren), diese Farbe herzustellen. Das kann man schon in den Höhlenmalereien der Altsteinzeit sehen. Man benutzte ocker-rote Erde, wie in der berühmten Grotte von Chauvet in Frankreich, und in der Neusteinzeit gewann man das Rot aus der Färberröte, eine Pflanze, deren Wurzeln einen roten Farbstoff enthielten.
Und zum anderen ist die Symbolik der Farbe Rot von zwei elementaren Erfahrungen geprägt: Rot ist das Blut und das Feuer. „Beide Erfahrungsbereiche haben in allen Kulturen, zu allen Zeiten, eine existentielle Bedeutung und dementsprechend tief ist die Symbolik im Bewusstsein verankert“ [4]. Rot ist die am meisten konnotierte Farbe.
In der Antike ordnete man dem Rot die Attribute der Macht zu, sprich der Religion und dem Krieg. Der Gott Mars, die römischen Zenturionen und einige Priester waren alle in Rot gekleidet. Die römischen Herrscher trugen ein Gewand in Purpur, ein Farbstoff, der aus Meeresschnecken (Murex) gewonnen wurde. Nachdem die Bestände dieser Mittelmeerschnecken in Palästina und Ägypten vollkommen erschöpft waren und keine purpurfarbenen Stoffe mehr gefärbt wurden, übernahm das Rot die Führung. Ab dem Mittelalter griff man auf die Schildläuse zurück. Aus ihnen konnte ein wunderschön leuchtender roter Farbstoff gewonnen werden. Die Läuse wurden in alten Rezepten als Kermesbeeren bezeichnet und dementsprechend hieß der Farbstoff Kermes. Da die Ernte dieser Insekten sehr arbeitsaufwendig und der Herstellungsprozess kostspielig war, konnten sich nur die Adeligen den Luxus leisten, diese roten Stoffe zu kaufen. Die Kleiderverordnungen der damaligen Zeit verboten außerdem dem einfachen Volk, Stoffe in reinen Farben zu tragen. Und somit blieb das Rot den Herrschenden vorbehalten. Die meisten Naturfarben hatten die Eigenschaft, schon nach einiger Zeit zu verblassen. Mit Kermes konnte man jedoch kostbare Stoffe färben, aus denen Gewänder genäht und über Generationen weitergegeben wurden. Ab dem 14. Jahrhundert wählten der Papst, der bis dahin in Weiβ gekleidet war, sowie die Kardinäle, das Rot für ihre liturgische Kleidung.
Als der Adel seine wirtschaftliche Macht im 15. Jahrhundert einbüßte, verlor er das Privileg der roten Bekleidung und vor allem des roten Mantels (im Mittelalter durften nur Adlige rote Mäntel tragen). In den Städten entwickelte sich eine Schicht von Bürgern, die, dank ihrer Tätigkeit im Handel, reicher als der Adel geworden waren: die Patrizier. Sie ließen sich nicht mehr bevormunden, was ihre Kleidertracht betraf. Sie machten das Rot zu ihrer Farbe, zur Farbe derer, die es sich leisten konnten, edel gekleidet herumzulaufen. Die Entdeckung Amerikas trug ebenfalls dazu bei, das Rot aus den Fesseln der Adeligen zu befreien. Das Rot der Cochenille Laus gelangte mit den spanischen Seefahrern nach Europa. Dieses neue Farbpigment war ergiebiger und billiger für jeden.
Nebenbei bemerkt findet man in der Geschichte des Rotkäppchens, dessen älteste Version auf das Jahr 1000 zurückzuführen ist, die drei Grundfarben des alten antiken Farbsystems wieder: ein rotes Kind bringt ein Stück weißer Butter zu seiner in schwarz gekleideten Großmutter. Auch in anderen Märchen sind sie wieder zu finden: Schneewittchen mit seiner weißen Haut erhält einen roten Apfel von einer schwarzen Hexe.
Gemäß dem bekannten französischen Historiker und Farbspezialisten Michel Pastoureau „ist alles ambivalent im Reich der Symbole und vor allem dem der Farben. Jede von ihnen teilt sich in zwei gegensätzliche Identitäten.“ [5]
Somit hat das Rot auch eine sehr negativ konnotierte Seite. Alles was an Gewalt, Verrat, Verruchtheit und Verbrechen erinnerte, wurde dem Rot zugeschrieben. Im 13. Jahrhundert wurden die sieben Todsünden und deren farbliche Korrespondenzen von der Kirche festgelegt: Neid (gelb), Völlerei, Habgier (grün), Wollust, Hochmut, Trägheit (blau) und Zorn (rot). Sie beschreiben sieben Motive und Verhaltensweisen, die die meisten Menschen in irgendeiner Form im Alltag begleiten. Sie galten aber gleichzeitig als unmoralisch und waren deshalb von Seiten der Kirche verboten und zu bekämpfen. Zum Rot gehören gleich vier davon. Prostituierte hatten lange Zeit die Obligation ein rotes Kleid zu tragen, damit sie auf der Straße gleich erkannt wurden und man installierte eine rote Lampe am Eingang der Freudenhäuser.
Für die protestantischen Reformer des 16. Jahrhunderts war Rot die Farbe der Papstanhänger und unmoralisch. Sie bezogen sich auf eine Textstelle der Apokalypse in der Bibel, wo der Heilige Johannes erzählt, wie ein Tier aus dem Meer auftauchte, geritten von einer in Rot gekleideten Prostituierten. Für Luther war Babylon gleichzusetzen mit Rom. Rot wurde zur Farbe der Ehrlosigkeit bei den Protestanten. Diese Verdammung der Farbe Rot unter protestantischen Christen hatte Konsequenzen. Ab dem 16. Jahrhundert findet eine Art Umkehrung statt: Männer trugen kein Rot mehr (mit Ausnahme der Kardinäle und Mitglieder einiger Ritterorden) sondern Blau (Farbe, die im Mittelalter der Heiligen Jungfrau Maria zugeordnet worden war) und katholische Frauen übernahmen das Rot als Kleiderfarbe. Spuren dieser Farbzuordnung finden wir heute noch in der Babykleidung: blau für Jungen und rosa für Mädchen. Rot blieb auch die Farbe des Hochzeitskleides der katholischen Braut bis ins 19. Jahrhundert hinein. Das galt vor allem unter den Bauern. Am Hochzeitstag zog man sein schönsten Gewand an und das war ein rotes Kleid (das Färben in dieser Farbe gelang den Färbern der damaligen Zeit noch am besten)
Im Zeitalter der Revolutionen wurde die rote Fahne das Emblem der unterdrückten Völker, getränkt von dem Blut, dass während der Kämpfe geflossen ist. Die russische Revolution übernahm sie 1918 und das kommunistische China 1949. Nicht zufällig nannte die Spartakusbewegung ihr erste am 9. November 1918 veröffentlichte Zeitung „die rote Fahne“.
Die Bedeutung der Farbe Rot heute
In der Mode unseres Jahrhunderts sind die kräftigen Farben aus der Männerkleidung fast verschwunden. In der Damenmode dominieren ebenfalls gedeckte Farben. Farben wie Knallrot sind nach gängigem Geschmack Kindern und Jugendlichen vorbehalten. Ein Mensch der Renaissancezeit hätte die reduzierte Farbigkeit unserer Mode als unästhetisch empfunden. In der Renaissance war Rot die schönste Kleiderfarbe, für Frauen und für Männer, für jung und für alt.
In Deutschland findet man eine gewisse Reserviertheit gegenüber roten Fahnen und der Propagandafarbe Rot. Das liegt weniger an einer Abneigung gegenüber dem Sozialismus als an der Erinnerung an das Hitler-Regime. Die Nationalsozialisten hatten bewusst als Grundfarbe des Hakenkreuzbanners die Farbe Rot gewählt um sich die Sympathien der Arbeiter einzuheimsen. Denn Rot war die Farbe der Arbeiterbewegung.
Rot wurde schon früh zur Farbe der Justiz. In der Rechtsprechung früherer Jahrhunderte wurde Blut mit Blut gesühnt. Wenn im Mittelalter Gerichtstag war, wurden rote Wimpel in den Städten gehisst. Die Richter damaliger Zeiten unterschrieben die Todesurteile mit roter Tinte und die Henker trugen rote Gewänder
Rot ist auch heute noch die Farbe der Justiz. In Deutschland tragen die hohen Richter des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts rote Talare aus Wolle für die zuerst genannten oder rote Seide für die höchsten Richter der Bundesrepublik.
In der christlichen Tradition erinnert Rot an vergossenes Blut. Während der Passionszeit, die an die Leiden Christi erinnert und an den Gedenktagen für Märtyrer tragen katholische Geistliche rote Gewänder und die Altardecke und der Kanzelschmuck sind rot. Das Rot, was hier zu den festlichen Feierlichkeiten ausgewählt wird, symbolisiert das Rot des Propheten und Retters, Kraft, Energie und Erlösung. Es ist leuchtend, erwärmend und glänzend wie ein Sonnenstern.
Von diesem Glanz können viele Schüler auf der ganzen der Welt nicht immer profitieren. Sie wissen, dass viel Rot nicht Gutes bringt und kommen schon beim bloßen Anblick einer schriftlichen Arbeit mächtig ins Schwitzen und noch mehr, wenn die Lehrperson anfängt in der Klasse Rot zu sehen. Denn Rot ist die Farbe der Korrektur, mit ihr werden Kopien korrigiert. Und wenn man bei den Einkäufen zu großzügig mit sich selbst und der Welt war, dann steht man schnell in den roten Zahlen. Es werden mit Rot auch Preise reduziert. „Hier regiert der Rotstift“, „Unsere Preise werden rot“, trällert fröhlich die Werbesprache vor sich hin. Sie bedient sich ganz unbefangen des Rots, wenn es darum geht, Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Alles, was wegen Geldmangels in der Planung und im Verwaltungswesen gestrichen werden muss, fällt unter den Hammer des Rotstifts. Rot steht für die Soll-Seite in der Sprache der Buchhaltung und jemand, der „rote Zahlen schreibt“, macht Verluste.
Das gesetzlich Verbotene kleidet sich in Rot. Ampeln sind rot, Gefahr wird mit Rot signalisiert, der verbotene Zutritt zu Operationssälen und Aufnahmestudios wird mit einem roten Licht signalisiert, Alarmknöpfe und Notbremsen sind rot.
„International haben alle Verbotsschilder drei einheitliche optische Elemente: einen roten Rand, einen Schrägbalken, und alle Verbotsschilder sind rund, vom Halteverbotsschild bis zum Rauchverbotsschild.“ [6]
Rot in anderen Kulturen
Im indischen System der Chakras [7] nimmt das Rot die erste Stellung ein. Man nennt es auch das Wurzelchakra. Es symbolisiert die Lebenskraft, Verbundenheit mit der Erde (Standfestigkeit) und zu sich selbst (Selbstvertrauen). Unser Verhältnis zu materiellen Dingen ist hier verortet. Es steht für die festen Bestandteile des Körpers wie Knochen, Wirbelsäule, Zähne und Nägel – aber auch Blut, Beckenboden und Darm.
In Russland hat Rot eine durchweg positive Bedeutung. Rot bedeutet „wertvoll“ und „schön.“ Die Ikonen stellte man in die „rote Ecke“, den Ehrenplatz in einem Raum. Eine geistreiche, bedeutungsvolle Bemerkung wird als „rotes Wort“ bezeichnet. Und das „Rotwild“, mit dem wir in Deutschland Wild mir rötlichem Fell kennzeichnen, ist in Russland der Bär und der Zobel, denn ihr Fell ist ganz besonders wertvoll.
In Indien steht Rot für Rajas, was Leidenschaft und Kraft bedeutet.
Für die Maoristämme in Neuseeland, die hundert Rottöne unterscheiden können, ist das Rot die heilige Farbe der Mutter Erde.
Die Stellung im Farbkreis nach Itten
Der Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten[8] entwickelte während seiner Lehrtätigkeit von 1919 bis 1923 im Bauhaus Weimar die Grundlagen seiner Farbtheorie. Er interessierte sich vor allem für die Interaktion und der daraus resultierenden Kontraste der zwölf Farben, die er in einem Farbkreis angeordnet hatte. Seine Grundidee war, dass alle Farben aus nur drei Grundfarben gemischt werden können.
Die Farbe Rot zählt zu den warmen Farben und ist die Komplementärfarbe zu Grün. Komplementärfarben sind die Farben mit den größten Gegensätzen und sie liegen sich im Farbkreis gegenüber. Werden diese gemeinsam gewählt wie z. B. Rot und Grün, dann verstärken sich diese beiden Farben in ihrer optischen Wirkung gegenseitig. Es entsteht der so genannte Komplementärkontrast.
Primärfarben sind Grundfarben, aus denen sich alle anderen Farben mischen lassen. Sekundärfarben entstehen durch eine Mischung zweier Farben. Rot zählt mit Blau und Gelb zu den Grundfarben.
Aktivitäten
[1] Quelle : hier (abgerufen am 23.2.2024)
[2] Quelle : hier (abgerufen am 23.2.2024)
[3] Zitiert von Forman Deborah, labo couleur et techniques mixtes, Eyrolle, Paris, 2016, Seite 13
[4] Heller, Eva, Wie Farben wirken, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 1999, Seite 51
[5] Frei übersetzt nach: Pastoureau, Michel, Simmonet, Dominique, Le petit livre des couleurs, Editions du Panama, Paris, 2005, Seite 33
[6] Heller, Eva, Wie Farben wirken, op.cit, Seite 51
[7] Die Chakren-Lehre beschreibt ein allumfassendes Energie-System. Jedes einzelne Chakra gilt als Energiezentrum, das eine Verbindung zwischen Körper, Geist und Umwelt schafft – quasi ein Portal zwischen der inneren und äußeren Welt. Der Begriff « Chakra » stammt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt „Rad“. Jedes der sieben großen Chakren steht mit bestimmten Organen und Körperbereichen in Verbindung und wird durch eine Farbe symbolisiert.
[8] Farbkreis nach Itten, unter : hier (abgerufen am 9.2.2024)