Der Herbst

Fotografiert von Christine Bauer

Der Herbst ist ein zweiter Frühling, wo jedes Blatt zur Blüte wird

Albert Camus [1]

Der Herbst

Im Nebel ruhet noch die Welt,

Noch träumen Wald und Wiesen:

Bald siehst du,

wenn der Schleier fällt,

Den blauen Himmel unverstellt,

Herbstkräftig die gedämpfte Welt

In warmen Golde fließen.

                      Eduard Mörike [4]

Herbst konkret und auf metaphorischer Ebene

Im Herbst überschreitet die Sonne den Himmelsäquator und wendet sich wieder nach Süden. Die Natur bereitet sich langsam aber stetig auf den Winterschlaf vor. Sie verwandelt ein letztes Mal ihr Blätterwerk in eine bezaubernde Farbenvielfalt von
Rot-, Gelb-, Orange- und Brauntönen bevor es sich von den Ästen löst. Dabei gibt es sogar eine Bezeichnung für das typische Landschaftsbild, an dem sich so viele Menschen erfreuen nämlich der goldene Herbst. Nach den Worten des Neurowissenschaftlers Michel Le Van Quyen empfinden wir Menschen beim Anblick der Schönheit der Farben in der Natur „ein tiefes inneres Gefühl der Freude, verbunden mit der Ästhetik und dem Bewusstsein unseres Daseins. Diese Vereinigung, dieser Moment, in dem das Gehirn eine gewisse Harmonie zwischen der Außenwelt und der inneren Wahrnehmung unserer selbst erkennt, vermittelt uns den Eindruck, dass die Schönheit von innen kommt und  wir ihr gleichen.“[1]
Während der Wachstumszeit, vom Frühling bis Anfang Herbst, dominiert das Grün des Chlorophylls die anderen in den Blättern enthaltenen Pigmente. Im Herbst gehen die Temperaturen und das Licht zurück, ein Signal für die Natur, die Chlorophyllproduktion herunterzufahren. Der Saft zirkuliert weniger in den Blättern und zieht sich zurück in Wurzeln und Knollen. Auch wir Menschen ziehen uns in unsere Wohnstätten zurück, suchen die Wärme drinnen. „Folgen wir dem Beispiel der Bäume, die ihren Schmuck ablegen und ihre Wurzeln tief in der Erde verankern um die kalte Jahreszeit problemlos zu durchqueren!“ [2] Die Tage werden kürzer, der Lebensrhythmus verlangsamt sich und unser Energiepotential wird weniger. Wenn wir uns auf den Herbst einstimmen, dann kommen wir zu einer gewissen Schlichtheit zurück, lassen uns Zeit zum Ruhen und Besinnen. Der Herbst ist eine Übergangszeit zwischen der explosiven Zeit des Sommers und der stillen Zeit des Winters. Sie lädt uns ein, uns von dem Oberflächlichen abzuwenden und auf das Wesentliche zu beschränken. Dadurch öffnen wir einen Raum, der zu uns selbst führt. Es ist der Moment, wo wir Bilanz ziehen und uns für die kalte Zeit stärken. Im Einklang mit der Natur machen wir uns frei  von dem, was uns einschränkt oder nicht mehr nützlich ist. Was sind wir bereit, definitiv abzulegen? Wir schneiden die alten Äste ab, sortieren aus, teilen und legen wertvolle Vorräte für den Winter an und legen behutsam Saatkörner in die Erde, damit sie im Frühling zu neuem Wachstum kommen können. Und um es mit den Worten des libanesischen Dichters Khalil Gibran zu sagen: „Im Herbst sammelte ich alle meine Sorgen und vergrub sie in meinem Garten. Als der Frühling wiederkehrte -im April-, um die Erde zu heiraten, da wuchsen in meinem Garten schöne Blumen.“ [3] 

Gabriele Münter, Herbstlandschaft [5]

Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Wir sind zufrieden mit der geleisteten Arbeit, bewerten konstruktiv die Ergebnisse, die wir erhalten haben. Wir sollten uns aber auch frei machen von dem sozialen Druck, dass es uns immer gut gehen muss. Die lichtarmen Monate sind nämlich auch eine Zeit, in der viele Menschen an Melancholie und Depressionen leiden. Das Jahr ist vergangen und wir haben Erfolge, Niederlage und Enttäuschungen auf persönlicher wieauch beruflicher Ebene erlebt. „Um aus unseren Fehlern zu lernen und voranzuschreiten, dürfen wir sie nicht einfach verdrängen. Wir sollten sie sogar zelebrieren als unausweichliche Etappen unseres Lernprozesses. Wir sind verletzliche Wesen und der Herbst erinnert diejenigen daran, die dafür empfänglich sind.“[6]
Betrachteten wir die Jahreszeiten als Lebensabschnitte, dann entspräche der Herbst dem vorangeschrittenen Alter, der Zeit des Innehaltens, des sich Lösens, des Abstandnehmens von den Dingen, die unser Leben bisher bestimmt haben, und in der wir uns von unserer inneren Weisheit leiten lassen. Der alternde Mensch in seiner Herbstzeit entwirft keine großen Projekte mehr, bleibt aber offen und disponibel für neue Erfahrungen. Er kann endlich einmal wagen sich einer künstlerischen oder sportlichen Aktivität zu widmen, von der er vorher nur geträumt hat, und er stellt seine erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen denen zur Verfügung, die er liebt oder die seiner bedürfen. Das, was wir im Herbst unternehmen, macht Sinn, für uns selbst und die Gesellschaft. Wir tragen bewusst zu einer besseren Welt bei.

In den folgenden kreativen Aktivitäten wurde diese besondere Energie des Herbstes berücksichtigt. Außerdem wird die Beschäftigung mit dieser Jahreszeit mit Aktivitäten über Kräuter, Gemüse und Obst, die im Herbst in unseren Breitengraden wachsen, ergänzt.


[1] Frei übersetzt nach Van Le Quyen, Michel, Cerveau et nature, Flammarion, Paris, 2022, Seite 138
[2] Frei übersetzt nach Ducrocq, Anne, Nos saisons-Une métamorphose intérieure, La Martinière, Portugal, 2021, Seite 154
[3] Quelle: Hier (abgerufen am 1.3.2024)
[4] Quelle : Hier (abgerufen am 28.2.2024)
[5] Quelle : Hier (abgerufen am 12.3.2024)
[6] Frei übersetzt nach Ducrocq, Anne, Nos saisons-Une métamorphose intérieure, La Martinière, Portugal, 2021, Seite 153

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